Eine Lebensfrage by Lewald Fanny

Eine Lebensfrage by Lewald Fanny

Autor:Lewald, Fanny
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T00:00:00+00:00


IV

Die junge erwartete Hausgenossin war angelangt und Therese hatte sie in ihren eigenen Zimmern eingerichtet. Aus dem Kinde war ein blühendes gesundes Mädchen von sechzehn Jahren geworden, das mit seinen großen, dunkeln Augen sehr verständig umherblickte und sich bald in den fremden Verhältnissen zurecht fand. Ihre Eltern waren nicht eben reich, hatten viele Kinder, deren ältestes sie war, und frühe schon hatte die tüchtige Mutter die Tochter als Hilfe benutzt, wo es im Hause etwas zu schaffen gab. Sie hatte die Eltern oft in Sorgen gesehen, hatte, soweit ihre Einsicht reichte, Theil daran genommen, die jüngeren Geschwister erziehen helfen und in Krankheiten gepflegt. Dadurch war sie praktisch gewandt und über ihre Jahre ernst geworden. Um so anmuthiger erschien es aber, wenn mitten in diesem jungfräulichen Ernst der kindliche Frohsinn zum Ausbruch kam.

Therese fand bald Freude an ihrer Gefährtin und vielerlei Beschäftigung durch und für sie. Sie mußte ihr Lehrer auswählen, ihr eine Art Zeiteintheilung machen und auch für ihre Kleidung Sorge tragen, deren ländliche Einfachheit nicht für die Kreise paßte, in denen sich Agnes für jetzt bewegen sollte.

Auch Julian nahm Theil an seiner Pflegetochter, wie er sie nannte, und es gefiel ihm gar wohl, wenn er sich Abends nach der Arbeit an den Theetisch setzte, der jetzt für vier Personen gedeckt ward. Oft vermehrte Eva die Zahl der Tischgenossen durch ihre Gegenwart, oder Alfred kam mit seinem Knaben dazu, und man war äußerlich recht heiter beisammen, während die verschiedenartigsten widersprechendsten Empfindungen in den Herzen der Einzelnen sich regten.

Alfred hatte nach jenem Abende lange geschwankt, ob er Therese wiedersehen solle, ob nicht. Er war viele Tage ausgeblieben und hatte sie damit in eine peinliche Ungewißheit gestürzt. Endlich, als die Sehnsucht in ihm zu groß geworden, hatte er angefangen, ihr Verhalten zu billigen. Er wollte kein Geständniß mehr von ihr ertrotzen, er ehrte ihr Schweigen, denn eine innere Ueberzeugung ließ ihn nicht an ihrer Liebe zweifeln. Nur ihr, das fühlte er, dankte er die Möglichkeit, sie sehen und auch künftig in ihrer Nähe leben zu können. So war er ihr bewegt und versöhnend entgegengetreten. Keiner Erklärung hatte es bedurft und ein friedliches, inniges Verhältniß stellte sich zwischen ihnen her. Er besuchte Therese täglich, aber er sah sie nur selten allein. Sein ganzes Fühlen und Denken sprach er vor ihr aus, die leisesten Regungen seiner Seele enthüllte er ihr, und seine Liebe, seine Verehrung für sie stiegen noch mit jedem Tage. Sie schien beglückt durch sein Vertrauen, sie hatte ihre äußere Ruhe wiedergefunden, Jedermann mußte sie für zufrieden, selbst für glücklich halten, denn Niemand sah ihre stillen Thränen, ihr verzagtes Zusammenbrechen in der Einsamkeit. Alle Zärtlichkeit, die sie für Alfred hegte und ihm verbarg, breitete sie über seinen Sohn aus. Die Nähe des Knaben war ihr eine Wohlthat und Felix fühlte sich bald so heimisch bei ihr, daß er, so oft er durfte, zu ihr eilte.

Er und Agnes wurden denn auch bald die besten Freunde von der Welt. Stundenlang konnte sie sich mit ihm unterhalten und mit ihm wie mit ihren kleinen Brüdern spielen.



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